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Berufsjugendliche Eltern sind leider geil

Berufsjugendliche Eltern sind leider geil

Huhu Herr Hauser vom Stern,

ich weiß ja nicht, welche Latte macchiato trinkende Laus sich bei Ihrem letzten Starbucksbesuch vorgedrängelt hat, aber anscheinend hat es ausgereicht, um einen ausgiebigen Spaziergang über Ihre Leber zu tätigen.

In Ihrem Stern-Artikel „Werdet endlich erwachsen, Leute!“ vom 28.12.2014 gießen Sie Unmengen an Öl in ein bereits loderndes Feuer, denn Fakt ist, dass wir Elternanfänger ja kaum noch irgendetwas aufschlagen können, ohne dass irgendwo irgendwer über uns herzieht.

Mir kommt es schon zu den Ohren raus, wenn ich mal wieder lese oder höre, dass wir zu uncool und ratgeberabhängig seien, oder endlich anfangen müssen ohne Feuchttücher auf den Spielplatz zu gehen.

Aber dass wir bei unserem kollektiven Versagen jetzt nicht einmal mehr Chucks und Kapuzenpullis tragen dürfen, war mir tatsächlich neu.

„Statt sich um den Nachwuchs zu kümmern oder ihnen eine gute Zeit zu schenken“, ärgern Sie sich über unsere angebliche Weigerung erwachsen zu werden und behaupten, dass wir unserem Nachwuchs die Kinderzimmerherrschaft streitig machen wollen.

Desweiteren klagen Sie uns Ihr Fernsehleid, ärgern sich über nicht in Würde alternde Rentner (anhand des Präzedenzfalles einer 64-jährigen Mutter, auf dessen Basis Sie nun den Untergang der lila-stichigen Dauerwelle prognostizieren), finden „Kettcar“ und „Tomte“ doof und überhaupt war der Himmel früher irgendwie auch blauer und das Gras sowieso grüner.

Jetzt mal ganz langsam.

Mag sein, dass unsere Bands heute nicht mehr so kultivierte Namen wie „Extrabreit“ oder „Geier Sturzflug“ tragen. Und ich finde auch, dass das heutige Fernsehprogramm meist grotesk und doof ist.

Aber abgesehen davon, dass ich nichts Verwerfliches daran erkennen kann, sich seinem inneren Deichkind zu widmen, war das Fernsehprogramm doch schon immer grotesk und doof. Oder haben Sie als Kind etwa nie einen dieser ulkigen „Tantenfilme“ mit Peter Alexander gesehen? Oder „Am laufenden Band“ mit Rudi Carrell?

Sie haben ganz geflissentlich über vergangene Trashfernsehperlen wie Ilja Richter oder Pepe Nietnagel hinweggeschaut und statt dessen das hohe Unterhaltunglied auf Hans-Joachim Kuhlenkampff gesungen, der „den väterlich-gütigen Typen verkörperte“ und „zu allen Späßen aufgelegt und doch kein Clown“ war.

Da gehen unsere Ansichten über Clowns aber arg auseinander. Nachdem ich mir via YouTube ein eigenes Bild von der „väterlich-gütigen“ Nachkriegsheiterkeit Ihres Hans-Joachim Kuhlenkampff machen durfte, habe ich vor allem eines festgestellt:

Dass er Frauen recht konsequent mit „Mäuschen“ oder „Spätzelchen“ angeredet hat, ihnen in die Wangen kniff oder mit flachem Witz und Hand einen Poklaps andeutete.

Herr im Himmel, ich mag jetzt hier keine Lanze für Stefan Raab brechen, aber brechen mag ich angesichts ihrer väterlich-brüderle-lichen Verklärtheit schon im hohen Bogen.

Dabei haben Sie ja durchaus Recht. Großmütter sitzen heute nicht mehr am Kaffeetisch und scheuchen die lauten Enkel ins Kinderzimmer, sondern sitzen (wenn auch ein wenig steif) auf dem Fußboden und bauen Eisenbahnen auf, oder beweisen eine zen-buddhistische Geduld im Erlernen von Star Wars-Begrifflichkeiten. Ehrlich gesagt find ich das spitzenmäßig.

Aber sogar das zur Verfügung stellen von Hochstühlen und Malstiften seitens der Gastronomie werten Sie als Beweis für den unseren Kindern aufgezwungenen urbanen Elternlifestyle. Doch egal, wie sehr ich mich anstrenge und winde, ich kann das lediglich als em- und sympathisch einstufen.

(Im Übrigen ganz im Gegensatz zu 1979, als man meinen Eltern noch den Zutritt zu einem Restaurant verweigerte, weil drei Kinder und ein Kinderwagen leider nicht für Bastelbögen auf den Tischen, sondern lediglich für Entsetzen auf den Gastwirtsgesichtern gesorgt haben. Hach, good ol‘ days…).

Mein persönliches Highlight waren dann übrigens ihre „bauchfrei-tragenden fourty-something Mütter“, die, statt sich selber an den Herd zu bequemen, „lieber Fertigessen in der Mikrowelle aufwärmen“.

Einmal abgesehen davon, dass es schon (freundlich ausgedrückt) interessant ist, dass sich im Jahr 2015 Ihr explizit mütterlicher Verfehlungskatalog auf Aussehen und Haushalt beschränkt, zeigen allein diese Aussagen, wie wenig Sie von ihrer Zielscheibengruppe verstehen.

Die durchschnittliche Mutter trägt heute aus bindegewebstechnischen Gründen sicher nicht mehr bauchfrei und greift i. d. R. eher zu Bio-Gemüse als zu bereits verarbeiteten Lebensmitteln. Wenn jene durchschnittliche Mutter dann auf Mikrowellenessen zurückgreift, plagt sie ein beknacktes, mitunter mehrere tage- und elternforeneinträgelanges schlechtes Gewissen (bitte also künftig bessere Zeitgeistrecherche beim Aufstellen von Vorurteilen betreiben).

Doch auch wenn es schmerzt, muss ich Ihnen in gewisser Weise wieder zustimmen, weil mein fast 37 Jahre alter Knicksenkfuß in einem Rieker-Gesundheitsschuh sicher besser aufgehoben wäre als in einem Paar Adidas Superstars. Und es ist tatsächlich überhaupt nichts Erwachsenes an der Tatsache, dass ich meinen Sohn immer „General von Abstinkewitz“ nenne, wenn er beim UNO verliert.

Bislang hatte ich aber nie den Eindruck, dass sich mein Sohn um seine Kindheit betrogen fühlt, wenn er sich auf eine Weise totlacht, wie es nur ein 5-jähriger angesichts abstruser Kombinationen mit dem Wort „stinken“ vermag.

Denn neben unseren ganzen Verfehlungen als herrschende Elterngeneration gibt es vielerlei Dinge, in denen wir trotz Spiele-APPs und Ahoi-Brause ganz wundervoll sind:

Zum Beispiel braucht bei uns niemand mehr den Teller leer zu essen, damit am nächsten Tag die Sonne scheint. Unsere Indianer dürfen Schmerz kennen und nicht mehr gegen ihren Willen gedrückt oder geküsst werden.

Unser Motto lautet „Lego und Largo – Bauen statt Hauen“.

Außerdem haben wir das spontane Erblinden nach Masturbation abgeschafft und die bis 1996 (!!!) noch verlegten Erziehungsratgeber der Nazipädagogin Johanna Haarer durch den freundlichen Onkel Juul ersetzt, der so gar nicht auf „Bloß keine Nähe, keine Gefühle“ im Umgang mit Kindern kann.

Nein, wir verdienen diesen gehässigen „berufsjugendliche Latte-Macchiato-Eltern“ Stempel nicht. Nennen Sie uns künftig lieber die „Drei Fragezeichen Eltern“.

Das sind wir Eltern, die eine Festplatte voller Kindergeschichten aus Rocky Beach unser Eigen nennen und auf der Suche einer schadstofffreien Winterjacke mehr als drei Fragezeichen im Kopf haben.

Wir sehen keine Diskrepanz zwischen Steuern zahlen und Mariokart zocken. Wir sind gute, liebevolle, wenn auch überbemühte und verunsicherte Eltern, die auf der Suche nach mehr Easy-Peasy Parenting genau so aussehen möchten, wie sie sich gut fühlen.

Also verwechseln Sie künftig Hummelhoodies nicht mit botoxgeschwängertem Jugendwahn und machen nicht kollektiv alle Eltern aus Hamburg oder Berlin zum Szenesündenbock (denn beknackte Eltern finden Sie auch in Castrop Rauxel oder Buxtehude).

Das Gras war früher nicht grüner.
Es war allenfalls billiger.

Ihre
Riester- und PS4-Sparer

Für Espresso mit Milch.
Ich hoffe, es ist Dir mittlerweile latte, dass man Dich seit Jahren für eine Hetzkampagne gegen Eltern missbraucht.

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