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Deine Nächte sind gezählt

Deine Nächte sind gezählt Foto: Andrea Litzenburger

Oder: Jede Mutter kann schlafen lernen

Wenn es ein Thema gibt, das Eltern mit kleinen Kindern (zurecht) bis zum Abwinken beweinen, dann ist es ihr Schlafmangel.

Schlafmangel ist eine grausame Folter und wird von Herbert Grönemeyer äußerst treffend in seinem 80er Jahre Hit „Ich kann nich pennen“ wie folgt beschrieben:

Wir haben wieder die Nacht zum Tag gemacht
Ich nehm‘ mein Frühstück abends um acht
Gedanken fließen zäh wie Kaugummi
Mein Kopf ist schwer wie Blei, mir zittern die Knie

Streng genommen heißt das Lied eigentlich „Alkohol„, aber man kommt nicht umhin, eine frappierende Ähnlichkeit zwischen dem schlafdefizitären und dem alkoholisierten Zustand zu beobachten.

Denn Nächte mit kleinen Kindern sind wie ein nicht enden wollendes Festival.
Das klingt zwar erst einmal recht launig, aber der Schein trügt.

Aus drei schlaflosen, fröhlich alkoholisierten Tagen, an denen man zu Klassikern wie „Ich Verabscheue Euch Wegen Eurer Kleinkunst Zutiefst“ über den Rasen tanzt, werden 300 schlaflose Nächte, an denen man sich lediglich alkoholisiert fühlt und nach der tausendsten Zugabe von „Eure watt mit eurer watt verwatt ich zu watt?!“ am liebsten den Bandmitgliedern von Tocotronic ihre Brillengläser zertreten möchte.

Was im letzten Drittel der Schwangerschaft beginnt, endet mit Kindern, die erst richtig glücklich zu sein scheinen, wenn mindestens ein Drittel ihrer Körpermasse auf dem mütterlichen Gesicht ruht.

(Ich spreche hier bewusst vom „mütterlichen“ Gesicht, weil Väter (zumindest jene, die eine Einkommensgrundsicherungskarte zücken können) in der Regel nach dem ersten Tritt in die Rippen ein Zimmer weiter ziehen.)

Also müssen sich Mütter tagsüber auf die alte Weisheit „Schlafe, wenn das Baby schläft“ berufen, aber das ist leider romantisierter Käse.

Denn selbst wenn wir uns tatsächlich an diese Hebammen(märchen)regel halten, (also zu schlafen wenn das Baby schläft – und im Gegenzug natürlich aufzuräumen, wenn das Baby aufräumt), sind viele von uns, trotz ihres andauernden Schlafmangels, oft gar nicht mehr in der Lage, das sich bietende Schlaffenster zu nutzen.

Stattdessen liegen nämlich die meisten von uns mit weit aufgerissenen Augen neben dem schlafenden Baby und werden von ihrer inneren Stimme mit Sätzen wie:

„Du musst jetzt auch schlafen!!!!! JETZT!!!!! J E E E E E E T Z T !!!!!“

schikaniert. Oder wir nehmen uns immer wieder vor, noch schnell zu duschen, Zeitung zu lesen, den Korb Wäsche zu bügeln und… huch… zu spät. Kind wieder wach.

Die gute Nachricht lautet: Man gewöhnt sich an alles.

Tatsächlich sind die meisten Eltern nach zwei, drei Jahren in der Lage, mit erstaunlich wenig Schlaf auszukommen. Zwar macht der chronische Schlafmangel mitunter dick, dumm, krank und/oder alt, aber nachdem sich solche Nebenwirkungen meistens, je nach Veranlagung, gerecht auf beide Elternteile verteilen, sollte uns dieser Umstand nicht allzu nervös machen.

Früher oder später (man kann es wirklich kaum fassen, wenn es denn dann so weit ist) tritt  die sagenumwobene Phase des „Durchschlafens“ in unser Leben.

Der paradiesische Zustand einer durchgängigen, mehr als 10-stündigen Nachtruhe hält tatsächlich irgendwann Einzug in den nächtlichen Familienalltag.

(Dass die meisten Kinder in dieser Phase bereits das Kindergartenalter erreicht haben, wird allerdings leider viel zu oft aus falscher Scham verschwiegen, suggeriert uns doch unsere Gesellschaft an allen Krabbelgruppenecken und Verwandschaftsenden, dass Eltern nicht durchschlafender Kinder mal wieder an irgendeiner Stelle versagt haben.)

Jedenfalls schlafen sie früher oder später alle relativ verlässlich ein und durch und dieses große rosa Hubba Bubba, das in den letzten Monaten oder Jahren als Platzhalter für unser beurlaubtes Gehirn diente, bildet sich langsam wieder zurück.

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, da wir endlich wieder zu unseren alten Schlafmustern zurückkehren können.

Von wegen.

Denn die schlechte Nachricht lautet: Die hormonelle Schlaflosigkeit, mit der uns Mutter Natur bedacht hat, damit wir rechtzeitig das hungrige Wolfsrudel bemerken oder unsere Kinder zwölf Mal in der Nacht wieder zudecken, geht leider beinahe übergangslos in die senile Bettflucht über.

Jetzt wandelt sich der Nachwuchs endlich zum Langzeitschläfer, und was machen wir?

Wir bleiben auf. Wir finden einfach nicht den Weg ins Bett oder liegen im Bett und zählen die Stunden, wann wir wieder aufstehen dürfen.

Bei der Ableistung unserer Freizeitpflicht haben wir uns so sehr auf die Zeitspanne zwischen 21 Uhr abends und 2 Uhr morgens eingependelt, dass es schlichtweg unmöglich scheint, zu diesen Zeiten das Bett aufzusuchen.

Nicht einmal den Beischlaf können wir hier zweckentfremden, da dieser den weiblichen Körper eher wachrüttelt statt ihn, im Gegensatz zum männlichen Pendant, ins unmittelbare Koma zu befördern.

Mütter durchschlafender Kinder legen sich nicht hin, sondern nähen nun mitten in der Nacht Breitcordpumphosen, schauen „The Good Wife“ oder schreiben für ihren albernen kleinen Blog*.

Aber damit nicht genug. Wir werden jetzt sogar morgens vor den Kindern wach.

Da liegen wir dann mit unser vollen Blase und wägen äußerst sorgfältig den Toilettengang ab, da die einmal getätigte Wasserspülung quasi als Weckruf missverstanden werden könnte.

Was sollen wir jetzt tun mit uns und unserer idiotischen Insomnie?

Unser Biorhythmus hat sich so sehr auf viele kleine Nickerchen eingestellt, dass er uns für verrückt hält, wenn wir ihn länger als 3 Stunden am Stück ruhen lassen.

Aber eigentlich möchten wir doch gerne schlafen.
Durchschlafen. Weiterschlafen. Ausschlafen.

Vielleicht sollten wir einfach das tun, was wir immer tun. Wir kaufen uns einen thematischen Elternratgeber, nach dem Motto: „Jede Mutter kann schlafen lernen.“

In diesem Fall handelt unser Buch allerdings nicht davon, dass man einer schreienden Mutter, die nicht schlafen will, ihr Smartphone oder Tablet verweigert, in der Annahme, die mütterliche Erschöpfung würde letztlich irgendwann die Oberhand gewinnen, sondern vielmehr von einem kleinen pausbackigen Siebenschläfer namens Bobo.

Richtig.

In der Literatur existiert nämlich bereits eine so unglaublich reizarme Lektüre, dass selbst die Titelperson am Ende jeder Episode eingeschlafen ist.

Bei Bobo Siebenschläfer handelt es sich völlig zurecht um einen Einschlafklassiker, der bereits Generationen von Eltern nach nur wenigen Seiten in den unmittelbaren Tiefschlaf versetzt hat.

Endlich können wir wieder schlafen.

Wir brauchen des Nachts nicht mehr schlaf- und ziellos durch unsere Wohnung oder Filterblase zu wandern. Wir nehmen künftig einfach das Buch vom kleinen Bobo Siebenschläfer mit ins Bett.

Oder hören sein schnarchiges Hörbuch.
Das funktioniert nämlich fast noch besser.


Für alle Brillenträger. Besonders Rick McPhail.

Ich habs nicht so gemeint. Ich war nur müde.

(*Der Erste, der mir hier drunter kommentiert, dass es korrekterweise „albernes kleines Blog“ heißt, schreibe bitte seine Anschrift dazu, damit ich persönlich vorbeikommen kann, um ihm quer über sein Gesicht zu lecken).

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