Königsberger Klopse

An einem Wintertag vor 70 Jahren bestieg Frieda mit ihren beiden Töchtern ein Schiff, das sie über die Ostsee nach Kiel bringen sollte.

Dass Frieda und ihren beiden Töchtern die Überfahrt auf einem jener Schiffe geglückt ist, grenzt an mehr als nur ein Wunder.

Schließlich hatten sie die Wilhelm Gustloff, ein Evakuierungsschiff, das am 30. Januar 1945 mit schätzungsweise mehr als 9000 Menschen an Bord vor der Küste Pommerns versenkt wurde, nur knapp verpasst.

Die glückliche Verzögerung hatte Frieda verursacht, weil sie, starr vor Angst und traumatisiert durch Plünderung und Vergewaltigung, am Tag der Flucht zunächst in die heimische Küche marschierte, sich vor die geöffnete Ofenklappe kniete und das Gas bis zum Anschlag aufdrehte.

Nur dem beherzten Eingreifen der 17 Jahre alten Tochter Lieselotte und ihrer nicht minder beherzten Ohrfeige ist es zu verdanken, dass Frieda sich schließlich doch noch aufraffte und mit der 7 Jahre alten Dorothea auf dem Arm und Lieselotte mit einem Bündel Wäsche im Schlepptau zum Hafen lief.

Dort angekommen wurde Lieselotte allerdings der Zutritt auf das rettende Schiff verwehrt, weil man den Auftrag hatte, nur Mütter und Kinder an Bord zu lassen. Von ihrer Mutter und der kleinen Schwester getrennt, stopfte sie sich hastig das Bündel Wäsche unter den Mantel, während um sie herum panische Menschen, die sich mit Gewalt Zutritt verschaffen wollten, erschossen oder in die Ostsee gestoßen wurden.

Abermals reihte sie sich in die nicht enden wollende Schlange der Wartenden ein. Der Soldat am Kontrollpunkt wurde misstrauisch und tastete ihren vermeintlich hochschwangeren Bauch ab.

Sofort spürte er den Betrug, der unter diesem hübschen Wintermantel verborgen lag. Ein Wintermantel aus feinem Stoff, den Lieselotte selbst genäht hatte und der ihr ganzer Stolz war.

Und nach einem kurzen Moment, in dem er das Mädchen anstarrte, das nun glaubte, es müsse sterben, winkte er Lieselotte auf das Schiff, wo sie sich sofort auf die Suche nach ihrer Mutter und der kleinen Schwester machte.

70 Jahre später starrt eine junge Frau in ihre Facebook-Timeline und liest Kommentare besorgter Bürger. Sie ist eine von bislang 24 Nachkommen jener drei Frauen aus Ostpreußen.

Einer Flüchtlingsfamilie, die damals auch niemand haben wollte. Die da von drieben kamen mit ihren kaukasischen Wangenknochen und Königsberger Klopsen. In ihren schicken Wintermänteln, nur um den Überresten des Landes auf der leeren Tasche zu liegen.

Aber entgegen der allgemeinen Befürchtungen wurden sie Altenpflegerinnen und Musiker, Autoren und Frisörinnen, Künstler und Angestellte, Lehrerinnen und Industriekauffrauen, Sozialarbeiter und Beamtinnen, Bankangestellte und Erzieherinnen, Krankenpfleger, Politikwissenschaftler und Arzthelferinnen.

Mein abschließender Dank gilt deshalb all jenen, die den damaligen Flüchtlingen aus dem heutigen Kaliningrad nicht die Auffanglager angezündet haben.

Flüchtlingen wie Lieselotte.
Meiner Oma.

Für meine Großnichte.
Friedas zehntes Ur-Ur-Enkelkind.

#BloggerFuerFluechtlinge

69 Gedanken zu „Königsberger Klopse

  1. Ich kanns auch nicht fassen, was hier bei uns passiert. Gegen diesen undifferenzierten Hass hilft nur eins: Farbe bekennen! So wie Du es hier mit dieser Erinnerung an die eigenen Wurzeln machst, wie auch Die bei Nieselpriem es für die Dresdner macht.
    Liebe Andrea, ich find das Klasse, was Du machst.

  2. So. Und weisst was? Auf die Idee hätte ich auch mal kommen können. Morgen, wird die Uroma befragt. Die kommt doch auch daher. Ich danke dir, liebe Andrea. Wir stellen gerade alle fest, wie sehr wir dich für deine Texte lieben. :*
    So ätzend die Ursache des Artikels ist… Danke!

  3. Du triffst genau meinen Nerv mit Eurer Familiengeschichte. Ich kann auch nicht verstehen, was hier gerade in unserem Land abgeht und habe auch schon darüber geschrieben. Aber Dein Text geht mitten ins Herz, weil er aus dem Leben gegriffen ist. Toll! Danke dafür!

  4. So, mit Tränen in den Augen ein großes Dankeschön!!
    Meine Oma hat es auf die Wilhelm Gustloff geschafft, im Rettungsring in der kalten Ostsee als einzige ihrer Familie überlebt und hier in der Fremde dann alleine (!!) eine Familie gegrpndet. Den Urenkel hat sie leider nicht mehr kennengelernt, aber ohne diese Flucht hätte es ihn (und uns alle) nicht gegeben.
    Dass Flüchtlinge ihre Heimat niemals, wirklich niemals, einfach so freiwillig verlassen, sollte doch eigentlich auch jedem klar sein!!! Da werde ich direkt doppelt traurig, wenn ich mich durch die teilweise unverständlichen FB-Kommentare der letzten Tage und Wochen lese…

  5. Meine Urgroßmutter, Großtanten, Großmutter, Tante und Schwester haben auch die Wilhelm Gustloff aus ähnlichen Gründen verpaßt.
    Ich bin der Meinung, dass wir hier in Deutschland etwas zu geben haben. Und sei es einfach nur ein freundliches „Herzlich Willkommen“.

      1. Vielelicht wird ja eine Blogparade draus, meine Großeltern mußten nicht flüchten sonst hätte ich auch gern dazu geschrieben. Mich hat das Thema auch sehr mitgenommen

  6. Ich habe gerade schon Rike vom Blog http://nieselpriem.com/ geschrieben, die unter dem Hashtag #flüchtlingsenkel ein Foto ihrer „Familienflüchtlinge“ auf Instagram gepostet hat. Ich habe den Hashtag im Beitrag ergänzt, und wer möchte ist herzlich eingeladen seinen eigenen Beitrag hier in den Kommentaren zu verlinken.

    Vielleicht ist erinnern wirksamer als appellieren!
    Danke für Eure Kommentare und Gedanken. <3

  7. Jetzt habe ich Gänsehaut und Wasser in den Augen! Meine Güte, fast jeder von uns „Super-Deutschen“ hat Vorfahren, die vor 70 und mehr Jahren Flüchtlinge waren. Mein Vater, damals noch Kind, flüchtete an der Hand meines Opas von Ostpreußen nach Schleswig-Holstein – mehrere Wochen lang zu Fuß, auf der Flucht vor den Russen, an hunderten von Leichen vorbei, die meinem Vater heute noch in seinen Träumen begegnen. Meine andere Oma dagegen wollte nur ihre Kinder aus dem zerbombten Köln retten und flüchtete Richtung Weser, wo sie herzlich aufgenommen wurde. Sie war zwar Deutsche, aber ebenfalls eine Flüchtende, die von wildfremden (!) Menschen mit Herz bis zum Kriegsende Schutz vor Bomben und Gewalt fand. Natürlich gibt es auch heute unter den Flüchtlingen einige wenige Asis, deren Zerstörungswut, schlechte Manieren oder asoziale Einstellungen es komischerweise immer schaffen, in die Medien zu kommen. Aber wenn ich mir anschaue, wer hier in Köln seinen Dreck auf die Straße wirft, sich im Straßenverkehr oder sonst wo asozial verhält oder in blinder Zersörungswut mal wieder öffentliches Eigentum wie z. B. immer wieder gerne die Glasscheiben an Bushaltestellen schrottet, dann nenne sich diese Leute „Deutsche“! Deutsche, deren Vorfahren Flüchtlinge waren!

  8. Hallo Andrea,
    danke für den tollen Artikel.

    Auch meine Großeltern gehörten zu den Flüchtlingen – meine Oma musste aus Tschechien fliehen und meine anderen Großeltern aus Ungarn.

    Leider vergessen das manche …

    Bea von Tollabea hat in einem blogpost kürzlich ihre Erinnerungen aufgeschrieben, vielleicht magst du es hier auch verlinken, wenn ihr beide mögt.

  9. Guter, guter, guter Text! Meine Großeltern sind damals über Frankfurt/Oder geflüchtet. Als ich vor ein paar Jahren zum studieren in die Stadt ging, sagte meine schon etwas tüdellige Oma: „Oh, da ist alles voller Menschen! Und die große Brücke!“. Das waren ihre Erinnerungen. Meine Großeltern kamen bis ins Ruhrgebiet, hatten es sicher nicht leicht, aber wurden aufgenommen und haben sich alles erarbeitet. Es ist schockierend und zum verzweifeln wie unmenschlich heute gegen Flüchtlinge argumentiert wird. Die meisten täten gut daran mal in ihrer eigenen Familie zu forschen.

      1. Würde ich gerne, leider ist Oma seit zwei Jahren tot. Aber etwas aufzuschreiben ist trotzdem eine gute Idee, weil die beiden zum Glück viel erzählt haben. Was mir eben noch einfiel, als ich mit dem Mann drüber sprach: im Ruhrgebiet hatten es meine Großeltern sicher verhältnismäßig leicht, Fuß zu fassen, weil die Region insgesamt so jung war damals und bald nach dem Krieg noch Italiener, Türken und andere „Gastarbeiter“ kamen, die dann aber auch einfach blieben. Andere behaupten oft, es wäre nur ein Gerücht, aber meine Erfahrung ist, dass im Pott die Menschen tatsächlich oftmals toleranter sind als anderswo und mit einem Mischmasch der Kulturen besser umgehen können. Ach ja, mein Herz hängt doch am Ruhrgebiet! 😉

  10. Ich wurde in einem Land geboren, das es nicht mehr gibt. Zum Glück gab es ein Land, dass mich und meine Landsleute aufgenommen hat. Auch wir waren Flüchtlinge. Wir flohen von der DDR nach Deutschland. Wir haben nicht das Recht über die Fluchtgründe anderer zu urteilen. Banal werden sie selten sein.

  11. Meine Großeltern mütterlicherseits kamen auch aus Schlesien nach Deutschland in den 50er Jahren. Meine Oma war damals schwanger und brachte hier dann meine Tante zur Welt. Sie wurden auch in Flüchtlingslagern aufgenommen und dann in Deutschland verteilt. Meine Großtanten sind in Hessen geblieben wie meine Oma… Andere der Familie hat es bis nach Australien, Amerika und Paris verschlagen.
    Da meine Oma zu Zeiten des Krieges geboren wurde und dann in Schlesien Deutsch verboten wurde konnte meine Oma kein Deutsch schreiben, lesen oder sprechen. Aber sie hat es zusammen mit meinem Opa geschafft und ihren Kindern eine Zukunft aufgebaut. Ich bin ihr sehr dankbar dafür und freu mich jeden Tag mit ihr zusammenzuleben.

    Kann die ganze Flüchtlingsfrage nicht verstehen… was mich stört sind die bürokratischen Hürden die erst genommen werden müssen, damit ein Asylbewerber hier selbst kleinster Arbeiten nachgehen kann… Viele wollen arbeiten, lernen und mit den Deutschen zusammenleben… aber das funktioniert am besten, wenn man Ihnen auch eine Chance gibt!

  12. Meine Familie musste zwar niergendwohin fliehen, hat aber im Krieg Kriegsgefangene zugeteilt bekommen und nach dem Krieg Flüchtlinge aufgenommen. Daraus sind Freundschaften entstanden, die teilweise heute noch existieren.
    Was mich besonders an den „besorgten Bürgern“ ärgert, ist, dass die meisten davon sich Christen nennen. Maria und Joseph waren in der Geburtsnacht Jesu auch Fremde, die ein Nachtlager gesucht haben… Ich selbst bin nicht besonders fromm, aber da kommt mir doch die Galle hoch.

  13. Danke für diese Geschichte, denn auch meine Großmutter ist mit meiner damals dreijährigen Mutter mit dem Schiff über die Ostsee geflüchtet. Danach hat sie mehr als ein Jahr im Lager in Dänemark verbracht. Die Heimat verloren zu haben, dass war Ihr Preis für den schrecklichen Krieg den Deutschland angefangen hat. Nach dem Krieg hat es unser geschundenes Land geschafft, Millionen Ostvertriebene aufzunehmen und zu integrieren. Warum soll uns dies nicht gelingen mit ein paar 100.000 Flüchtlingen aus aller Welt, denn reich genug ist unser Land dafür alle mal. Auch ist jeder dieser Menschen für Deutschland eine Bereicherung. Wenn wir Ihnen Zukunft geben in diesem Land durch Sprachkurse und Ausbildung, dann werden diese Menschen Deutschland viel mehr zurückgeben als wir gegeben haben.

  14. Liebe Andrea,
    auch ich hatte eine Großmutter die mit meiner Mutter und meinem Onkel aus Königsberg Ostpreußen übers Haff geflohen ist, um schließlich in Trossingen auf der Schwäbischen Alb ein neues Zuhause zu finden. Ich fand die Geschichten der Flucht, die meine Oma erzählen konnte, immer so faszinierend und mutig. Sie flohen im Winter, mit hartgefrorenen Windeln bei meinem Onkel und noch vielen anderen Unannehmlichkeiten, die für uns heute meist unvorstellbar sind. Meine Oma ist leider mit 90 Jahren vor nun 10 Jahren gestorben, aber ich ich trage sie weiterhin in meinem Herzen, als allerbeste Oma der Welt, sie war einfach eine unglaubliche Person.

  15. Und alle diese Leute waren Deutsche oder deutsche Minderheit und kamen in ein am Boden zerstörtes Land mit massiven Mangel an Konsumgütern und konnten schnell und problemlos in eine boomende Wirtschaft integriert werden, unabhängig vom Bildungsgrad.
    Mit der momentanen Situation (schlechte Sprachkenntnisse, zu 50% schlechter Ausbildungsgrad, kein Bedarf an schlecht ausgebildeten Arbeitskräften, da die Arbeitsplätze nicht mehr existieren) nur eingeschränkt zu vergleichen, und man tut sich auch keinen Gefallen, Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

    Die große Frage ist nicht: wer hat die dramatischeren Fluchtgründe.
    Sondern: wie können die Leute, die hier aufgenommen werden (und wie viele sind das und nach welche Kriterien wählt man?) raschest und bestens integriert werden?

    1. Mhmmm…ich finde deinen Kommentar an einigen Stellen echt schmerzverursachend falsch, aber leider hab ich hier im Strandkorb nur minimales W-LAN und bereits einen Aperol Spritz in der Rübe, weshalb ich meine Antwort auf zu Hause vertage. In der Zwischenzeit können ja irgendwo auf dem Weg in unser intaktes Land noch ein paar tausend halb gebildete, undeutsche Flüchtlinge ertrinken. Huch…sach bloß ich hab jetzt doch schon geantwortet?! Sachen gibts….

  16. So, jetzt hab ich geheult… meine Oma und Uroma sind damals aus Pommern geflohen. Von Danzig aus. Wenn meine Uroma nicht so frech gewesen, direkt nach vorne marschiert wäre und dem Kapitän gesagt hätte, dass sie eine großartige Köchin sei und in der Bordküche alles machen würde, ich säße jetzt nicht hier…

    Danke dir für diese Geschichte, die ebenso meine ist. Deshalb geh ich jeden Samstag in unsere Kirche und unterrichte ehrenamtlich Deutsch für Flüchtlinge. Deswegen besuche ich einmal die Woche eine albanische Familie, die leider in drei Wochen wieder heim muss und mache ihnen Mut, dass sie es schaffen werden. Und wenn ich dann solche Sätze lese wie „Die Politik muss Deutschland dringend unattraktiver machen“, dann kann ich nur sagen: „Dazu braucht es keine Politik mehr, solange es Menschen gibt, die sowas von sich geben.“

  17. Danke für den Text.
    Meine Oma ist damals auch geflohen, und vor den im Nebensatz fallengelassenen Gräueln graut es mich immer wieder.

    Oben ist die Rede von ein paar 100.000 Flüchtlingen.
    Ja, dieses Jahr. Und nächstes Jahr. Und das Jahr darauf.

    Das heisst nicht, dass ich dafür bin, dass sie nicht kommen dürfen. Im Gegenteil, wir sind hier in der Pflicht, denn Deutschland ist durch mitverursachten Klimawandel, massive Exportdumpings, Waffenexporte oder einfach nur Zugucken wie ganze Regionen destabilisiert werden (schönes neutrales Wort für den Horror, oder?) definitiv in der Pflicht. Und ich finde es beschämend, wie mit den Menschen die hierher kommen, und denken sie haben es geschafft, umgegangen wird.

    Integration ist nicht gewünscht kann man meinen – das sieht man auch an der jahrzehntelangen Ignoranz gegenüber der Integration der „Hilfsarbeiter“. (Ich weiss noch, wie sich mein Opa gewundert hat, warum die Leute denn immer noch hierblieben. Aber für ihn hatte Du weisst schon wer ja auch die tollen Autobahnen gebaut und die Arbeitslosigkeit bekämpft…-.-)

    Wir werden in den nächsten Jahren massiv umdenken müssen.
    Global, denn eine Massenflucht / Auswanderung, wie sie ja oft schon prophezeit wird (und von der wir die Anfänge sehen), kann ganz Europa nicht „stemmen“ (egal in welchem Bereich!). Wir müssen denen helfen, die jetzt Hilfe brauchen. und wir müssen aufhören, die Heimat anderer zu zerstören und dann rumzujammern wenn diese verzweifelt eine Alternative suchen. Ich glaube das nennt man Verantwortung übernehmen….

    Da heutzutage aber „alle“ um das Goldene Kalb tanzen bin ich skeptisch.
    Leider.

    Nichtsdestotrotz gibt es viele, viele Leute, die helfen und gerne noch mehr helfen würden.
    Das wird aber durch die Medien nicht reflektiert.
    Wir müssen lauter sein.

  18. Meine Oma ist auch aus Ostpreußen geflohen, über Land mit einem Säugling. Hat überlebt, weil barmherzige Leute in einem Dorf an der Strecke sie kurz vor dem Verrecken aufgenommen und trotz eigener Not mehrere Monate lang mit durchgefüttert haben. Weil es das Auffanglager Friedland gab, das niemand anzündete oder belagerte. Weil sie hinterher ein winziges Zimmer bei nicht begeisterten aber trotzdem einigermaßen freundlichen Leuten zugewiesen bekam und dort wieder ins Leben finden konnte.

    Ich weiß fast nichts von dem, was sie auf der Flucht erlebt hat, sie hat nicht darüber geredet und ich war noch zu klein, mich wirklich zu interessieren, aber es wird kein Spaziergang gewesen sein. Jedenfalls gibt es gute Gründe, Schlimmes zu vermuten. Den meisten Asylbewerbern, die es hierher schaffen, dürfte es nicht besser ergangen sein. Wer nicht schon zuhause traumatisiert wurde, kriegt es spätestens auf der Reise ab.

    Leuten, die so etwas hinter sich haben, noch Steine und Molotow-Cocktails in die Fenster (oder in die Gesichter) zu schmeißen, ihnen die Unterkünfte niederzubrennen und das armselige bisschen Unterstützung zu neiden, das sie hier erhalten, ist niederträchtig bis dorthinaus. Und eine Unverschämtheit darüberhinaus – da stellen sich diese Bratzen hin und fordern, Ausländer sollen sich doch bitteschön an Recht und Gesetz halten und sich in die altehrwürdige deutsche Leitkultur integrieren, um dann im nächsten Atemzug mieseste Hetzereien rauszulassen und hinterher gleich noch ein paar Gewaltverbrechen zum Besten zu geben. Schöne Vorbilder sind das, ein tolles Aushängeschild für dieses Land, gerade vor dem Hintergrund der jüngeren Geschichte!

    Selbst wenn man keine Flüchtlinge hier haben wollen sollte, könnte man sich wenigstens benehmen und die Leute einfach in Ruhe lassen. Das wäre wirklich das Allermindeste!

  19. Dein Text sprichtmmir aus der Seele. Meine Oma kam mit meinem Onkel aus Pommern. Sie und ihre Eltern und Schwestern mit deren Familien erlebten Todesangst, Zerstörung und noch vieles mehr auf ihrem Weg nach Schleswig-Holstein. Sie wurden unterwegs voneinander getrennt und meine Oma wusste lange nicht, ob alle ihre Schwesternd ie Flucht überlebt haben. Wenn ich dann so blöde Kommentare lese wie „warum haben die n dickes Smartphone“ könnte ich kotzen. Meine Oma hätte damals sonstwas für die Möglichkeit gegeben mit ihrer Familie in Kontakt zu bleiben. Und für die Flüchtlinge ist es die einzige dünne Verbindung zu ihren Liebsten. Meine Oma hat immer sehr offen von der Flucht erzählt, auch wenn es ihr sichtbar schwer fiel. Zum Glück war es in meiner Familie nie üblich die Vergangenheit zu verschweigen, sondern es wurde auch über die schlimmen Dinge gesprochen um in Zukunft diese zu vermeiden. Vielleicht hat meine Oma daher auch somit einen Anteil daran, dass ich Flüchtlingen helfe und nicht verscheuche… Sollte allerdings für jeden selbstverständlich sein.

    1. In Sachen Smartphone hast Du recht. Nach einer Flucht ist man ohnehin entwurzelt und plötzlich ganz auf sich gestellt, oft desorientiert mit Schwierigkeiten, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Da ist jede Möglichkeit, mit zuhause oder den sonstwo verstreuten Verwandten Verbindung aufzunehmen, willkommen und manchmal sogar überlebensnotwendig. Jedenfalls kein Luxus.

      Zum Wiederfinden von Verwandten und Freunden, von denen man (z.B. auf der Flucht) getrennt wurde, gibt es übrigens eine geniale Webseite: Refugees United. Da habe ich vor Jahren drüber geschrieben. So ein Werkzeug hätte nach dem Krieg viel Leid verhindern können. Wenn Du mit Flüchtlingen zu tun hast, könnte das für Dich und Deine Leute interessant sein…

  20. Ich habe nur Deinen Beitrag gelesen, für die Kommentare fehlt mir akut die Zeit, denn ich bereite „eigentlich“ gerade meinen Unterricht für die kommende Woche vor. Seit zwei Woche unterrichte ich ehrenamtlich Deutsch für Flüchtlinge.
    Deshalb hier nur so viel: Ich könnte Dich küssen für Deine Worte und wünschte Mac, Adnan, Attila, Hetti Mishach und die anderen verstünden schon genug Deutsch um sie zu verstehen. Ich arbeite daran. Und dann lasse ich sie lesen.

  21. Meine Oma ist mit ihren Kindern 2x geflohen. Einmal vor den Russen aus Schlesien, glaube ich, bis in den Harz. Ihr Mann, mein Opa, war Kriegsgefangener in GB. Dann, etwa 8 Jahre später die 2. Flucht aus der DDR nach Westdeutschland. Erst hier konnten meine Großeltern nach rund 10 Jahren Trennung mit wenigen Besuchen wieder zusammenziehen.
    Meine Mutter war auf der 2. Flucht als Kleinkind dabei. Sie kam mit ihrer Familie in ein Aufnahmelager in Berlin, Marienfelde. Nach ein paar Wochen durften sie erst weiter nach Kiel. Das Lager ist heute ein Museum.
    Liebe Andrea, danke für deinen Beitrag, der auch die Flucht meiner Verwandten mit einschließt!

  22. Meine Oma kam auch auf solch einem Schiff. Aber das Schiff blieb längere Zeit stecken (Mienen?) bis es befreit wurde. Bei dann war ihr sechs Monat junges Baby Astrid in ihren Armen schon tot, verhungert weil durch Stress und Hungersnot ihr die Milch weg ging. Das tote Kind trug sie dann, mit ihrem Herz zerbrochen mehrere Wochen mit sich herum (Winter) bis jemand es heraus fand und die kleine Astrid endlich zur Ruhe legte.

    Ich entschuldige mich für mein schlechtes Deutsch, ich habe Deutschland als Kind verlassen.

    1. *Chrrrrrchrrrrchrrrrr*
      Huch! Wasn los?!
      Penny!! Penny!! Penny!!
      Ich schreib gerade gaaaaaaaaaaanz viel, weshalb ich so wenig Zeit zum Kasperbloggen hab, aber wahrscheinlich hau ich Sonntag was raus. Ich will nicht zuviel verraten, aber gleich im ersten Satz zitiere ich Kalle Grabowski. Wenn dat ma kein Teaser is.Tschüssikowski mein Herzken.

    1. Penny!! Penny!! Penny!!
      Ich warte noch auf eine Bestellung aus New York (jahaaa) um den Beitrag zu vollenden. (Hier bitte affiges Ponny-zur-Seite-pusten-Künstlergetue einfügen). Aber diese Kartoffelf…amazonmarketplacevertickerer lassen sich seit 4 Wochen Zeit. Mrmpf.

  23. Facebook hat mich gerade daran erinnert, dass es nun schon ein Jahr her ist, dass ich diesen Beitrag geteilt habe. Und er ist nach wie vor leider aktuell und sollte so manchem um die Ohren geklatscht werden.

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