Deine Nächte sind gezählt

Oder: Jede Mutter kann schlafen lernen

Wenn es ein Thema gibt, das Eltern mit kleinen Kindern (zurecht) bis zum Abwinken beweinen, dann ist es ihr Schlafmangel.

Schlafmangel ist eine grausame Folter und wird von Herbert Grönemeyer äußerst treffend in seinem 80er Jahre Hit „Ich kann nich pennen“ wie folgt beschrieben:

Wir haben wieder die Nacht zum Tag gemacht
Ich nehm‘ mein Frühstück abends um acht
Gedanken fließen zäh wie Kaugummi
Mein Kopf ist schwer wie Blei, mir zittern die Knie

Streng genommen heißt das Lied eigentlich „Alkohol„, aber man kommt nicht umhin, eine frappierende Ähnlichkeit zwischen dem schlafdefizitären und dem alkoholisierten Zustand zu beobachten.

Denn Nächte mit kleinen Kindern sind wie ein nicht enden wollendes Festival.
Das klingt zwar erst einmal recht launig, aber der Schein trügt.

Aus drei schlaflosen, fröhlich alkoholisierten Tagen, an denen man zu Klassikern wie „Ich Verabscheue Euch Wegen Eurer Kleinkunst Zutiefst“ über den Rasen tanzt, werden 300 schlaflose Nächte, an denen man sich lediglich alkoholisiert fühlt und nach der tausendsten Zugabe von „Eure watt mit eurer watt verwatt ich zu watt?!“ am liebsten den Bandmitgliedern von Tocotronic ihre Brillengläser zertreten möchte.

Was im letzten Drittel der Schwangerschaft beginnt, endet mit Kindern, die erst richtig glücklich zu sein scheinen, wenn mindestens ein Drittel ihrer Körpermasse auf dem mütterlichen Gesicht ruht.

(Ich spreche hier bewusst vom „mütterlichen“ Gesicht, weil Väter (zumindest jene, die eine Einkommensgrundsicherungskarte zücken können) in der Regel nach dem ersten Tritt in die Rippen ein Zimmer weiter ziehen.)

Also müssen sich Mütter tagsüber auf die alte Weisheit „Schlafe, wenn das Baby schläft“ berufen, aber das ist leider romantisierter Käse.

Denn selbst wenn wir uns tatsächlich an diese Hebammen(märchen)regel halten, (also zu schlafen wenn das Baby schläft – und im Gegenzug natürlich aufzuräumen, wenn das Baby aufräumt), sind viele von uns, trotz ihres andauernden Schlafmangels, oft gar nicht mehr in der Lage, das sich bietende Schlaffenster zu nutzen.

Stattdessen liegen nämlich die meisten von uns mit weit aufgerissenen Augen neben dem schlafenden Baby und werden von ihrer inneren Stimme mit Sätzen wie:

„Du musst jetzt auch schlafen!!!!! JETZT!!!!! J E E E E E E T Z T !!!!!“

schikaniert. Oder wir nehmen uns immer wieder vor, noch schnell zu duschen, Zeitung zu lesen, den Korb Wäsche zu bügeln und… huch… zu spät. Kind wieder wach.

Die gute Nachricht lautet: Man gewöhnt sich an alles.

Tatsächlich sind die meisten Eltern nach zwei, drei Jahren in der Lage, mit erstaunlich wenig Schlaf auszukommen. Zwar macht der chronische Schlafmangel mitunter dick, dumm, krank und/oder alt, aber nachdem sich solche Nebenwirkungen meistens, je nach Veranlagung, gerecht auf beide Elternteile verteilen, sollte uns dieser Umstand nicht allzu nervös machen.

Früher oder später (man kann es wirklich kaum fassen, wenn es denn dann so weit ist) tritt  die sagenumwobene Phase des „Durchschlafens“ in unser Leben.

Der paradiesische Zustand einer durchgängigen, mehr als 10-stündigen Nachtruhe hält tatsächlich irgendwann Einzug in den nächtlichen Familienalltag.

(Dass die meisten Kinder in dieser Phase bereits das Kindergartenalter erreicht haben, wird allerdings leider viel zu oft aus falscher Scham verschwiegen, suggeriert uns doch unsere Gesellschaft an allen Krabbelgruppenecken und Verwandschaftsenden, dass Eltern nicht durchschlafender Kinder mal wieder an irgendeiner Stelle versagt haben.)

Jedenfalls schlafen sie früher oder später alle relativ verlässlich ein und durch und dieses große rosa Hubba Bubba, das in den letzten Monaten oder Jahren als Platzhalter für unser beurlaubtes Gehirn diente, bildet sich langsam wieder zurück.

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, da wir endlich wieder zu unseren alten Schlafmustern zurückkehren können.

Von wegen.

Denn die schlechte Nachricht lautet: Die hormonelle Schlaflosigkeit, mit der uns Mutter Natur bedacht hat, damit wir rechtzeitig das hungrige Wolfsrudel bemerken oder unsere Kinder zwölf Mal in der Nacht wieder zudecken, geht leider beinahe übergangslos in die senile Bettflucht über.

Jetzt wandelt sich der Nachwuchs endlich zum Langzeitschläfer, und was machen wir?

Wir bleiben auf. Wir finden einfach nicht den Weg ins Bett oder liegen im Bett und zählen die Stunden, wann wir wieder aufstehen dürfen.

Bei der Ableistung unserer Freizeitpflicht haben wir uns so sehr auf die Zeitspanne zwischen 21 Uhr abends und 2 Uhr morgens eingependelt, dass es schlichtweg unmöglich scheint, zu diesen Zeiten das Bett aufzusuchen.

Nicht einmal den Beischlaf können wir hier zweckentfremden, da dieser den weiblichen Körper eher wachrüttelt statt ihn, im Gegensatz zum männlichen Pendant, ins unmittelbare Koma zu befördern.

Mütter durchschlafender Kinder legen sich nicht hin, sondern nähen nun mitten in der Nacht Breitcordpumphosen, schauen „The Good Wife“ oder schreiben für ihren albernen kleinen Blog*.

Aber damit nicht genug. Wir werden jetzt sogar morgens vor den Kindern wach.

Da liegen wir dann mit unser vollen Blase und wägen äußerst sorgfältig den Toilettengang ab, da die einmal getätigte Wasserspülung quasi als Weckruf missverstanden werden könnte.

Was sollen wir jetzt tun mit uns und unserer idiotischen Insomnie?

Unser Biorhythmus hat sich so sehr auf viele kleine Nickerchen eingestellt, dass er uns für verrückt hält, wenn wir ihn länger als 3 Stunden am Stück ruhen lassen.

Aber eigentlich möchten wir doch gerne schlafen.
Durchschlafen. Weiterschlafen. Ausschlafen.

Vielleicht sollten wir einfach das tun, was wir immer tun. Wir kaufen uns einen thematischen Elternratgeber, nach dem Motto: „Jede Mutter kann schlafen lernen.“

In diesem Fall handelt unser Buch allerdings nicht davon, dass man einer schreienden Mutter, die nicht schlafen will, ihr Smartphone oder Tablet verweigert, in der Annahme, die mütterliche Erschöpfung würde letztlich irgendwann die Oberhand gewinnen, sondern vielmehr von einem kleinen pausbackigen Siebenschläfer namens Bobo.

Richtig.

In der Literatur existiert nämlich bereits eine so unglaublich reizarme Lektüre, dass selbst die Titelperson am Ende jeder Episode eingeschlafen ist.

Bei Bobo Siebenschläfer handelt es sich völlig zurecht um einen Einschlafklassiker, der bereits Generationen von Eltern nach nur wenigen Seiten in den unmittelbaren Tiefschlaf versetzt hat.

Endlich können wir wieder schlafen.

Wir brauchen des Nachts nicht mehr schlaf- und ziellos durch unsere Wohnung oder Filterblase zu wandern. Wir nehmen künftig einfach das Buch vom kleinen Bobo Siebenschläfer mit ins Bett.

Oder hören sein schnarchiges Hörbuch.
Das funktioniert nämlich fast noch besser.


Für alle Brillenträger. Besonders Rick McPhail.

Ich habs nicht so gemeint. Ich war nur müde.

(*Der Erste, der mir hier drunter kommentiert, dass es korrekterweise „albernes kleines Blog“ heißt, schreibe bitte seine Anschrift dazu, damit ich persönlich vorbeikommen kann, um ihm quer über sein Gesicht zu lecken).

122 Gedanken zu „Deine Nächte sind gezählt

  1. Also unser Kleiner wird bald 5 JAHRE und schläft selten durch. Und wenn er ausnahmsweise mal schläft, dann muss garantiert das andere aufs Klo oder die Katze nervt oder der Mann schnarcht… Und am nächsten Morgen heisst es dann: „Ich hab ja so schlecht geschlafen…“ 🙁

  2. Du bist wirklich toll und sehr, sehr lustig und ich erkenne mich in jedem einzelnen satz wieder.
    Ich brauche dringend deine e-mail adresse und/oder Telefonnummer 🙂

  3. Schöner Text. Ich muss aber dringend vor durchschlafenden Kindern warnen. Kaum haben sich meine Jungs mit ca. 5 und 3 Jahren zu einem halbwegs stabilen Durchschlafen entschieden, kam es bei meinem Mann und mir zu einem seltsamen Aussetzer. Wir starten jetzt in ca. 6 Wochen in die nächste Runde Schlaflosigkeit bzw. ich bin schon gestartet, wegen Schwangerschaftsendspurt. Aber diesmal haben wir aber auf dem Formular eindeutig ‚Lang-, Viel- und Durchschläfer‘ angekreuzt.

    Ich hätte einfach viel früher anfangen sollen, solche Blogs zu lesen. Da wäre ich mir vielleicht weniger allein vorgekommen. Aber ich habe die Augen nicht weit genug aufbekommen.

  4. ja JA JAAAA!
    Meine letzte durchgeschlafene Nacht war im Dezember 2012. jetzt haben wir es 2 Uhr in der Nacht. Alles schläft, nur ich nicht… Alles klar?!!! 😉😉😉

  5. Ich hab mir gerade ziemlich doll die Hand verbrannt, mich anschließend mit meinem Liebsten gezofft (Thema: wieso er ein Blech, dass ich aus dem Ofen rausgenommen habe, damit es nicht heiß wird, wieder hinein legen) und im Anschluss wurde ich von meinem trotzendem Kind, dem ich unmittelbar zuvor einhängig ein Toastbrot mit Butter beschmiert hatte, gehauen. (Nächster Zoff mit meinem Liebsten: wieso er duschen geht und mich Einhändige mit dem Kind und dem Toast allein lässt).
    Dann las ich Deinen Post und habe schallend gelacht.
    DANKE dafür.

    1. Dass er dich gehauen hat lag bestimmt daran, dass du einer Mutterkuh das Kalb hast wegnehmen lassen damit Butter für den Toast auf dem Brot landet 😉

  6. Ohh danke😂😊🙏 das hört sich doch ganz nach mir an😂 hier paart sich das noch immer nicht jede nacht durchschlafende Schulkind mit einer Mama in der 38+ssw! Heute nacht waren es mal 4 std am stück💃 aber … Ich werde es schaffen- auch dank meiner zauberhabten freundinnen denen es ähnlich geht wie mir- und dank dir, die das Thema so schön auf den punkt bringt, dass ich herzlich lachen musste😂💜

  7. Ich trau mich bei diesem Thema immer kaum etwas dazu sagen. Mein Sohn ist bald 5 und hat bis auf wenige Tage immer durchgeschlafen. Morgens wache ich vor ihm auf u. trinke in Ruhe meinen Kaffee. Dafür haben wir vermutlich andere „Themen“. Hoffentlich bekomme ich jetzt nicht zur Strafe das Bodo Siebenschläfer Buch – ist der verwandt mit Leo Lausemaus? Von beiden bekäme ich schlechte Träume…

    1. Das tut ihr bestimmt. Aber ich spreche hier aus meiner Sicht als Mutter. Den einzigen Vaterblog den ich kenne/lese, ist der hier (www.familienbetrieb.de), aber kann ihn sehr empfehlen :-).

  8. Naja, so lange gestillt wird, muss die Frau ran – ist eben so. Aber seit wir abstillen, wechseln wir uns ab. Und erst, wenn man die Nächte macht, weiß man, was es heißt, ein Kind zu haben… Danke für den Blog-Tipp.

  9. Genau, schlafen, wenn das Baby schläft. Haha! Ich mach mal eben schnell noch… Oh, SCHON wieder wach?!
    Gut, mit einem Kind mag das noch gehen. Hat man ein zweites – das nachmittags partout nicht in den Kindergarten will und ständige Aufmerksamkeit (Beaufsichtigung) braucht – muss man den Haushalt, die nicht enden wollenden Wäscheberge oder wichtige Termine (wo man womöglich Informationen bekommen könnte, die man sich merken sollte) vormittags erledigen. Ebenfalls sowas wie Recherchen im Internet, Briefe an Krankenkassen etc. schreiben, tolle Blogs lesen… 😉
    Oder man schläft dann, wenn man Kind eins in den Kindergarten gebracht hat, doch mal ein (halbes) Stündchen. Dann ist der Vormittag eh schon gelaufen und Kind eins muss wieder abgeholt werden. Haushalt, Wäsche usw. müssen somit eben abends/nachts erledigt werden. Oder am nächsten Vormittag bzw. Abend. Oder übernächsten, weil dazwischen schon wieder vormittags ein wichtiger Termin wie die Babymassage war und/oder der Rückbildungskurs abends…

  10. Naja, Zeit für sich bzw. für das Pflegen von (alten) Freundschaften ist oft nur noch online und (spät)abends möglich. Oder geht das nur mir so?!

    1. Nein! Gewiss nicht nur Dir! Das kenne ich nur zu gut… Und DANKE liebe Andrea für diese wohltuende Umschreibung nächtlichen Schlafentzuges. Ich glaube ich habe tatsächlich das Durchschlafen verlernt. Aber Schlaf wird ja auch tootal überbewertet… In diesem Sinne: Auf eine neue gute Nacht!

  11. Mein Sohn (24 Monate) schläft seit 21 Monaten durch, meine Tochter (3 Monate) seit 2 Monaten mehr oder weniger, ich stille sie im Liegen, da schlafe ich oft gleich wieder ein. Jede Nacht in der ich auch nur einmal richtig aufstehen muss ist für mich ne Qual. Aber am schlimmsten sind die Nächte in denen man trotz schlafender Kinder wach liegt. Und am nächsten Morgen dann noch der Göttergatte fragt: „Warum hast du nicht geschlafen?“ „Weil ich nicht konnte.“ „Wieso? Wer hat dich wach gehalten?“

    Waaaaaaaah!!!! Ich muss unbedingt schlafen lernen.

  12. Danke! Danke für diesen Beitrag, denn im Moment habe ich das Gefühl, dass wir die einzigen sind, die ein schlafloses baby -jungen oder einen 5jährigen mit Monstern im Schrank, oder einen vorpubertären nachts DS spielenden Jungen haben oder am besten alle 3 Situationen in einer Nacht nacheinander.
    Heute Nacht haben mein Mann (er ist die seltene Spezies, die Nachts nicht abhaut) und ich uns erfolgreich 2 Stunden tot gestellt, damit wir das baby beim brabbeln, rumwälzen, aufjaulen nicht stören.

  13. Also mein kleiner schönling schläft seit etwa dem 3. Monat durch is er is jetzt 8 Monate *.*
    Kann mir gar nicht mehr vorstellen wie das am „anfang“ aber ich weiß noch ganz genau das Ich teilweise einfach nur noch funktioniert hab 😅 aber War zu dem Zeitpunkt als alleinerziehende auch manchmal wirklich kein zuckerschlecken 😧

  14. tja und wenn sie dann älter werden und in den ausgang gehen, können wir wieder nicht schlafen, solange sie nicht zuhause sind und sicher in ihren betten liegen…

  15. Geil, geil, geil. Ich hab gerade schallend gelacht. Gut, dass die Kollegen im Mittag sind. Es passt sooooooo sehr. Liebe Autorin, das ist Balsam für meine mittlerweile mehr als übernächtigte Seele.

    Und der allerletzte Nachsatz wegen dem kleinen albernen Blog war eh am Besten 😉

    Dat muss ich mir merken 😉

  16. Ich kann nicht mehr! Selten so gelacht 😂 Wie kann man so geil schreiben!? Saumäßig lustig, wahrhaftig und aufbauend 😍😊👍🏼

  17. Ach der Artikel ist aufbauend… Mein 1. Kind hat gerade die schlimmste Phase hinter sich (ist jetzt 4 Jahre alt) und ich bin jetzt mit dem 2. Kind schwanger… Aber was solls ist ja ein Wunschkind. Im März ist es soweit 🙂 LG Irene

  18. Schlafen, wenn das Kind schläft – beim ersten Kind ging das. Beim zweiten hatte sich das große Kind pünktlich zur Geburt den Mittagsschlaf abgewöhnt und wollte dann ntürlich bespaßt werden, wenn endlich das nervige kleine Bündel die Mama mal nicht beanspruchte.
    Und meine Mann… der ist zwar nicht aus dem Bett geflüchtet; dafür hat er einfach fast alles überhört und genüßlich weiter geschlafen, während ich mich mal wieder aufraffte. Um diesen Tiefschlaf beneide ich ihn. Morgens überrascht festzustellen, daß ein Kind mit unter der Decke liegt, passiert bei mir NIE.

  19. Gut getroffen. Ich gehöre zu den beneideten Müttern mit 2 durchschlafenden Kindern (3 Monate und 21 Monate). Trotzdem endet meine Nacht häufig um 4 Uhr. Dann wird gestillt gerödelt und die Windel voll gemacht und bis das Kind wieder schläft und mich nicht mehr wach hält, kann ich aufstehen um das grosse Kind für die Kita fertig zu machen. Wer hat diesen Mist -durchschlafen – überhaupt erfunden?durchschlafen 6 Stunden na super!
    Schlafen wenn das Kind schläft super Idee blos meist von Männern geäußert. Die dann abends fragen, “was hast du den ganzen Tag gemacht?“ – weil alles ist wie vorher, dreckig kein essen, viel wäsche… prost malzeit ich will noch eins 🙂

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