Die rote Zora und ihre virtuelle Bande

Eine Liebeserklärung an Elternforen

Virtuelle Eltern haben oft einen ausgesprochen schlechten Ruf. Manchmal zurecht. Jeder kennt sie, die ForumssteilnehmerInnen, die einer anderen Mutter zwar nie persönlich sagen würden, dass ihr Nachwuchs hässlich ist, aber mit metaphorischem Megafon und der überhöhten Wertschätzung des eigenen Zeigefingers bewaffnet durch die Foren tingeln.

Ich schreibe hier bewusst nur über Eltern- bzw. Mütterforen, weil ich die durchschnittliche Dynamik von Kaffeevollautomatenforen nicht kenne. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass es überall ähnlich dogmatisch zugeht und sich manche Leute vermutlich auch tagelang über Tütensuppen oder Spiegelreflexkameras streiten können.

Trotzdem habe ich nichts gegen virtuelle Eltern.
Einige meiner besten virtuellen Freunde sind virtuelle Eltern.

Denn abgesehen vom Unterhaltungswert mancher Netzwerke („Mein Mann hat die Windel heute morgen über den Body gezogen. Gott sei Dank sieht er wenigstens gut aus.“), regulieren sie täglich Panikattacken bezüglich der Kindesentwicklung („Hilfe, mein 8 Monate altes Baby hält den Stift immer noch falsch rum. Ergotherapie ja oder nein?“).

Natürlich kenne ich auch virtuelle Mütter, die mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken jagen, wenn sie ihre Ansichten verbreiten. Wie zum Beispiel Mütter, die behaupteten, man dürfe Babys nach Mitternacht nicht mehr stillen.
Wer an dieser Stelle bei „Gremlins“ aufgepasst hat, kann die Regeln noch mit „den Mogwai nie dem Sonnenlicht aussetzen“ und „den Mogwai nicht nass werden lassen“ vervollständigen.

Es bestreitet ja niemand, dass es Familien gibt, in denen ein Laufstall als Langzeitparkplatz verwendet wird, aber der überwiegende Teil der Laufstalleltern die ich kenne, benutzt ihn nur, wenn die Einkäufe aus dem Auto in die Küche geräumt werden müssen oder das gefärbte Kopfstroh nach einer überfälligen Haarkur schreit.

Manchmal wirkt es, als hätte man zu jedem Thema lediglich die Wahl zwischen Pro oder Kontra und noch so alltägliche Frage- oder Feststellung münden in einer Dogmadiskussion.

Aber zwischen Schwarz- und Weißfraktionen sollte man die vielen Grauzoneneltern nicht vergessen. Denn diese sind oft rein zahlenmäßig in der, wenn auch stillen, Mitleserüberzahl.

Entgegen der gängigen Klischees können eine Kinderwagenbefürworterin und eine Tragetuchabhängige nämlich sehr wohl einen ganzen Abend lang friedlich und unterhaltsam über die Frage diskutieren, wer zur Hölle eigentlich immer bei „The Walking Dead“ den Rasen mäht.

Nicht hinter jeder Langzeitstillerin verbirgt sich automatisch ein Milchpulvernazi, und nicht alle Väter, die ständig behaupten, sie müssten auf die Toilette und man sieht dann an dem kleinen grünen Punkt, dass sie online bei Facebook sind, gehen automatisch fremd.

Eine eigens für diesen Beitrag erfundene Studie besagt, dass tatsächlich nur 1 von 1000 Attachement Parenting Eltern glaubt, der Antichrist habe das Antibiotikum erfunden. (Im übrigen wusste keiner der fiktiven Probanden, dass es Bartolomeo Gosio war, aber er es sicher nicht erfunden hat, um es wie prophylaktisches Konfetti auf virale Infektparaden zu werfen.)

Unterstellen wir also demnächst einer Mutter, die das Konzept der „stillen Treppe“ ablehnt oder ihr Brot selber backt, nicht automatisch, eine Helikoptermom zu sein und Eltern, die Krippenfigurenfilzen für Waldorfgedöns halten, geben deshalb noch lange nicht ihrem Nachwuchs abends „Hustensaft“, damit er schneller schläft.

Ermutigen wir dafür lieber die Grauzoneneltern einzuschreiten, bevor es am Schluss einer Diskussion wohlmöglich wieder heißt, Haushalte mit Familienbett trennen keinen Müll oder entsprechend potenzierte Globuli wären in der Lage, den Gazakonflikt zu lösen.

Ich kenne nur eine Hand voll trollender Interneteltern.

Dafür kenne ich hunderte wunderbare, virtuelle Eltern. Egal ob sie nun Bio-Buchweitzen schroten oder 50 Shades Of lame Vampire Storys lesen.

Solange sie ihre Kinder lieben, ab und zu ein paar Loriotszenen aus ihrem Alltag zum Besten geben oder anderen Eltern die virtuelle Hand reichen, teile ich dieses Internet gerne mit ihnen.

Für meine Internetfamilie

Wo nicht jede gepostete Frage nach Schlittschuhen in einer Impfdiskussion endet.

14 Gedanken zu „Die rote Zora und ihre virtuelle Bande

  1. Muhahahaaaa wie Recht Du hast!!! Ein Hoch auf Dich und die geballte Shopopower (wie schön, ein Teil gerade dieser Communitiy zu sein)
    Sei lieb gegrüßt von einer Milchpulver fütternden, dafür tragenden, häufig Bio kaufenden, dafür aber auch Dosensüppchen schmausenden, mal stiller und mal lauter mitlesenden Shopomuddi.

  2. <3
    Hier bekommen Sie in jedem Artikel die volle Ladung: kugelnd auf dem Boden liegen und Tränchen der Rührung verdrücken.
    Liebe Grüße, Milchpulvernazi mit Familienbett und durchgeimpten Kindern 😉

    1. Oh, wir haben auch Familienbett und durchgeimpftes Kind. Langzeitstillerin bin ich noch keine, denke aber darüber nach, allein aufgrund der fabelhaften Kommentare, die ich mir damit einhandeln werde.

  3. Wo ist dieses Forum in dem Frauen von Männern schreiben, die Windeln über die Bodys ihrer Kinder ziehen und über das Rasenmähen in TWD (meiner Lieblingsserie … Und überhaupt, wie rasieren sich die Männer eigentlich oder haben einige einfach keinen Bartwuchs?) diskutiert wird? Ich muss da hin und erstmal eine der Graumütter werden ;-).

  4. Artikel top ich bin Familienbettende, Langzeitstillende, Tragenazi, Stoffwindel (ich wünschte er bräuchte die nicht) durchimpfen lassende und omniforen Mama. Passt auch prima zusammen LOL. Wobei ich keiner Frau ungefragt den Kiwa madig machen würde. Leider funzt der Link nicht…..

  5. Ich mische auch, ich bin eine still-versagerin, brei-kochende, tragetuch im Schrank hängende Kinderwagen Mutti (gewesen) die ihr brot selbst backt 😀 und nun isser schon kleinkind und man merkt: alles voll unwichtig. Hauptsache man ist nicht schwarz oder weiß in seinem denken, dann werden die kleinen von Tag zu Tag toller, lustiger, süßer und einfach zum knutschen ! 🙂

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