Ein Nachruf auf den Mittagsschlaf

Oder: Rest in Peace ohne Angela Lansbury

Alle Eltern kommen irgendwann an den Punkt, an dem sie loslassen müssen. Damit meine ich nicht das Krabbelkind, das die Treppe hochklettert, sondern eher alltägliche Dinge, die sich aus dem Leben mit Kindern ergeben.

Heute morgen zum Beispiel habe ich meine Jeans losgelassen.

Ich habe immer geglaubt, dass es nicht so schwer sein kann, weniger als 12 kg in der Schwangerschaft zuzunehmen. Das wird einem ja alles einleuchtend vorgerechnet: Baby 3.500 g, Fruchtwasser 1.000 g, mütterliches Blutvolumen 1.250 g… blablabla.

41 Wochen und 20 kg später hab ich das nicht mehr geglaubt. Es soll zwar Frauen geben, die 10 Minuten nach der letzten Presswehe wieder in ihre alten Hosen hüpfen, aber bei mir war das nicht so. Und auch wenn ich jetzt wieder mein vorgeburtliches Gewicht habe, passe ich einfach nicht mehr in meine alten Hosen hinein.

Es ist, als ob sich der Kombi zwar wieder in ein Kleinwagen verwandelt hat, aber die Rückspiegel plötzlich an beiden Seiten 2 cm weiter abstehen. Somit habe ich heute morgen meiner alten Bundweite endgültig und undramatisch Lebwohl gesagt. Geht doch.

Ich hätte auch nie gedacht, wie schnell man Erinnerungen an ein Leben ohne Kinder auslöschen kann. Vorige Woche zum Beispiel wollte meine Schwiegermutter mit mir und den Kindern in den Zoo fahren. Wir verabreden uns für „nach dem Frühstück“. Um 7.12 Uhr sitze ich mit den Kindern reisefertig auf der Treppe. Meine Schwiegermutter kommt um 11.04 Uhr.

In der Medizin spricht man in so einem Fall von einer „dissoziativen Amnesie“. Leute ohne Kinder sprechen da eher von „nicht ganz dicht“ und man selber irgendwann von „Mutter-Kind-Kur“.

Vor den Jungs haben wir auch an einem Wochenende eine ganze Staffel „24“ geschaut, Final Fantasy durchgespielt, oder alle zwei Wochen einen Mai Thai Abend in einer Cocktailbar mit Happy Hour ab 18 Uhr verbracht.

Heute ist für mich Happy Hour, wenn mal alle aus dem Haus sind und ich nach 2 Tassen Kaffee alleine auf die Toilette gehen kann. Aber auch hier gilt: Ich muss da jetzt nicht in Tränen ausbrechen. Irgendwann kommt das schon wieder und wenn nicht, dann kommt etwas anderes. Locker bleiben.

Ich werfe also die Jeans in den Kleidersack und ein Auge auf geplante Game Releases für 2020. Vorerst wird Kiefer Sutherland durch Yakari ersetzt und statt darüber zu heulsusen, dass man früher mehr Zeit für einander hatte, drücken wir uns lieber die Daumen, dass sich unser partnerschaftliches Zeitfenster vor 21 Uhr öffnet, damit wir beide noch genug Kraft für ein launiges Miteinander haben.

Man kann sich im Laufe der Zeit also mit allem irgendwie neu arrangieren, andere Wege oder Ersatzdrogen finden. Sicherlich klappt das nicht sofort, aber mit ein bisschen Übung wird man die vorübergehenden Einschnitte in emotionalen, körperlichen oder geistigen Bereichen akzeptieren.

Bis auf eine Sache…

Einen einzigen, verdammten Zustand, mit dem ich partout keinen Frieden schließen kann.

Der Tag, an dem Angela Lansbury aus meinem Leben verschwunden ist. Richtig gelesen. Die Mord-ist-ihr-Hobby-Tante.

Der Zufall wollte es nämlich, dass meine beiden Kinder ihren Mittagsschlaf immer, wenn auch mehr als 3 Jahre auseinander, zur selben Zeit hielten, wenn Mord ist ihr Hobby im Fernsehen lief. Für mich hieß das, dass ich eine ganze Stunde mit Nichtstun und Angela Lansbury verbringen konnte.

Angela Lansbury unterhielt mich mit ihren ulkigen Geschichten aus Cabot Cove (einem beschaulichen, kleinen Fischerdorf mit einer verstörend ähnlichen pro-Kopf-Mord-und-Totschlagsrate wie Ciudad Juárez) und sie ist dabei so gemütlich und unaufgeregt wie Merinowolle und Tetrazepam.

Ich lege also die Füße hoch, esse ein Snickerseis, trink meinen Kaffee und nickte nach 20 Minuten ein. Herrlich.

Aber irgendwann kommt der Moment, an dem die Kinder leider gar nicht mehr daran denken, sich ein wenig aufs Ohr zu legen, um mir ein trantütiges Krimigelümmele zu bescheren. Leider haben sie das in unserem Fall schon im zarten Alter von je 1 1/2 Jahren beschlossen, und der Große hat auch nicht, entgegen der Prophezeiungen anderer Mütter, mit Eintritt des Kindergartens wieder damit angefangen.

Also, liebe Eltern, die ihr noch kleine Kinder habt. Seid nicht traurig, dass vielleicht jetzt für das ein oder andere weniger keine Zeit mehr ist. Alles kommt wieder und alles andere, was nicht wieder kommt, wird durch neue, noch wunderbarere Dinge ersetzt.

Aber wenn ihr euch heute, wenn das Baby schläft, zurücklehnt und euer eigenes, ganz persönliches Angela-Lansbury-Ritual genießt, dann tut dies in der maximal möglichen Glückseligkeit, denn mit jedem Tag rückt er näher….

Der Moment, der sich in das kollektive Bewusstsein aller Eltern einbrennt….

 

DER TAG, AN DEM DIE KINDER AUFHÖREN, TAGSÜBER ZU SCHLAFEN!

 

Für Angela Lansbury.

Wir hatten ein barbarisch, schönes Leben.

7 Gedanken zu „Ein Nachruf auf den Mittagsschlaf

  1. Toll wie Du es schafst die Veränderungen des Lebens zu beschreiben und herzlichen glückwunsch dazu, dass Du so toll Frieden mit den Dingen schließen kannst.
    Ich werde dämnächst eine Andrea Harmonika Angela Lansbury Schweigeminute einrichten, wenn mein Sohn mit 22 Monaten 2-3 Stunden mittagschläft hält 🙂 und sogar malwieder meine 3 einhalb Jährige Tochter nach dem Kindergarten das Reich der Träume besucht.
    In dem vollen Wissen wie viel Glück mit meinen Superschläfern habe ist das einziege was mir so einen Moment noch krönen könnte ein Regenbogen… den die bete ich an 🙂

  2. Weil meine Mutter das kleine bisschen ruhe am Mittag nicht aufgeben wollte gab es irgendwann am Mittag eine einfache Regel: Ich und meine Geschwister mussten nach dem Essen eine Weile ohne lärm zu machen in den Kinderzimmern sein, wer da wo war und mit was er spielte war egal, es musste einfach ruhig sein. So hatte Meine Mutter die ruhe noch 5min die Küche fertig aufzuräumen, 10-15min zu lesen und dabei für 20-30min einzuschlafen. Klar dies wurde manchmal durch Streit gestört, aber meistens hatte sie ihre kleine Pause.

  3. Ach ist das schön, auf deine Seite gestoßen zu sein! Zwar haben wir genug Freunde mit Kindern aber wenn ich mich da mal über meine Jungs (2 und 4) auslasse, hab ich oft das Gefühl ganz besondere, ungewöhnlich dickköpfige, schwierige Kinder zu haben. Vor allem der Große wird immer kritisch beäugt… Und jetzt, wo ich 22.30 im Bett liege und mich nach einem Diskussionsreichen, durch starke Wutausbrüche des großen (?) Kindes geprägten Tag frage, was hätte ich irgendwann irgendwie anders machen können…stoße ich auf deine zahlreichen Artikel und fühl mich nicht mehr ganz so allein. Und zum lieben mittagsschlaf. Den hat sich Kind Nummer eins mit 21 Monaten abgewöhnt, mit 3 in der kita wieder angewöhnt, aber auch nur da. Zu hause führt kein Weg rein. Was soll ich sagen. Zum Glück macht sein kleiner Bruder noch Mittagsschlaf und ich will einfach nur mit schlafen…und weil sich mein 4 jähriger nicht fein ruhig in seinem Zimmer beschäftigt bekommt er ne DVD an und schaltet so auch bissel ab. Und jedes mal wenn ich diesen Schritt gehe, habe ich ein schlechtes Gewissen, weil es mir seit ich das zweite kind hab nicht gelingt ohne dieses Medium ein wenig Ruhe und Entspannung für mich zu gewinnen. Dabei kannte er bis zur Geburt des kleinen Bruders diese blöde Fernsehkiste gar nicht. Und wenn ich dann auf Eltern mit größeren Kindern treffe, deren Kinder ohne Fernsehen aufwachsen, frag ich mich was ich falsch mache. Auch jetzt habe ich wieder ein schlechtes Gewissen hier zugegeben zu haben, dass ich zu diesem mittel greife.
    Oh je. Jetzt bin ich abgeschweift…
    Danke für deine Offenheit und bitte mach weiter so!
    LG

  4. Habe vor kurzem deinen Blog entdeckt und lese mich jetzt mit Genuss durch. Einfach herrlich! Danke dafür!
    Mein Sohn ist 15 Monate und schläft etwa 2 Stunden am Tag. Für diese Zeit habe ich immer mehrere Folgen von Mord ist ihr Hobby auf der Festplatte . Es gibt einfach nichts entspannenderes als einem schönen Mord.

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