Mama ist eine Schlampe

Oder: 70er Jahre Kinderunterhaltungsformate auf dem moralischen Prüfstand

Ich sitze mit meinem Sohn (5) vor dem Fernseher und schaue Wicki. Natürlich den „alten“, nicht diesen neumodisch-animierten Firlefanz. Folgender Zeichentrickdialog: „Armer Snorre. An Bord wird er von Tjure verprügelt und zu Hause vertrimmt ihn seine Alte“.

Mein Sohn hat das anscheinend nicht mitbekommen, und ich bin sehr dankbar dafür. Ich hab nämlich keine Lust, einen Satz zu erklären, bei dem sich anschließend 5 weitere Fragenfenster öffnen.

Nächste Situation: Er sitzt in seinem Zimmer und hört Biene Maja – also den Originalmitschnitt der 70er Jahre TV-Fassung. Die Folge heißt „Maja bei den Ameisen“.

Zum Inhalt: Maja rettet ein Ameisenboot und darf zum Dank einen Tag lang das Kommando über die Ameisen führen. Einzige Bedingung: Sie darf ihre Flügel nicht benutzen. So führt Maja stolz die Ameisen den ganzen Tag kreuz und quer durch ihre Klatschmohnwiesenhood, bis die Ameisen fix und alle sind.

Dann passiert es: Die kleine Ameise ist völlig erschöpft und fällt in das Loch eines Ameisenlöwen. Hochdramatisch! Und jetzt kommts: Der Ameisenhauptmann VERBIETET eine Rettungsaktion mit der Begründung: „Sie ist selber Schuld.“ Ich stehe bügelnd im Flur und halte inne, weil ich das nicht glauben kann. Aber es bleibt dabei. NIEMAND hilft. Maja möchte eine Rettungsaktion durchführen und argumentiert sich dumm und dusselig, während die kleine Ameise im Todeskampf mit dem Ameisenlöwen ringt.

Also fliegt Maja los und rettet die kleine Ameise im Alleingang. Dafür wird sie vom Oberst übel beschimpft, weil sie ihren geleisteten Eid bricht, heute NICHT zu fliegen. Kurzum: Die kleine Ameise ist gerettet, Maja wird unehrenhaft aus der Ameisen-SS entlassen, und ich entsorge die Kassette abends stillschweigend im gelben Sack. Mein Sohn saß im übrigen ungerührt auf dem Teppich und hat Lego gebaut. Er hat von all dem Drama nichts mitbekommen.

Und weiter gehts: Ich lese „Guck mal Madita, es schneit“ vor, welches wir aus der Bücherei ausgeliehen haben. Zuckersüß. Die olle Astrid und ihre herzerwärmenden Geschichten gehen einfach immer. Ach und die kleine Lisbeth. Wie sie ihrem Kindermädchen während der Weihnachtseinkäufe abhaut und unbemerkt auf einen vorbeifahrenden Schlitten springt um illegal ein paar Runden durch dieses Snörelundsund zu drehen.

Leider fährt der Schlitten aber aus der Stadt heraus in einen Wald, und jetzt wird es auch noch dunkel. Die durchgefrorene Lisbeth macht sich also bemerkbar, weil der Spaß hier langsam kippt und sie wieder nach Hause will.

Und was macht der Mann? Er hält ihr eine Strafpredigt und …..FÄHRT WEG mit den Worten: (Zitat)“ Sieh selber zu, wie Du nach Hause kommst“. Mittlerweile ist es in diesem Schwedenwald stockfinster und es fängt auch noch furchtbar an zu schneien. Da steht sie dann – die kleine, 3 Jahre (!!) alte Lisbeth, legt sich völlig entkräftet in den Schnee, weint bitterlich und denkt sich (Zitat) „Jetzt muss ich wohl sterben“.

Meine Vorleserei macht mittlerweile kaum noch Sinn, weil alles was ich hier simultan beim Lesen umdichte, kaum noch inhaltlich zu den Bildern passt. Nachdem Lisbeth also Stunden später über Umwege dann doch noch nach Hause findet (und ich noch schnell dazuerfinde, dass die Polizei kommt und den Kutscher wegen unterlassener Hilfeleistung für 1500 Jahre ins Gefängnis wirft) klappe ich das Buch zu und bin urlaubsreif. Mein Sohn sieht das anscheinend nicht so eng, weil er keine Lust auf einen Aufarbeitungsstuhlkreis mit mir hat.

Und dann stehe ich mit den Kindern in der Reinigung. Ich suche meine Handtasche nach dem Abholschein ab, und plötzlich beugt mein Sohn sich zur Mitarbeiterin über die Theke und sagt im Plauderton: „Ach ja, meine Mama, das ist vielleicht eine Schlampe.“

Ich bin platt. Hat er mich wirklich gerade eine Schlampe genannt? (Wer hat dieses Kind eigentlich erzogen???) Und während sich meine Ohren dunkelrot färben, fällt es mir ein…..

Sofort starte ich einen peinlich berührten Rechtfertigungsmonolog. Er handelt vom Pumuckel, der die Theaterkarten und die Manschettenknöpfe vom Schlossermeister Bernbacher versteckt, weil der sich am Stammtisch über den Meister Eder lustig macht. Nach einer Weile vergeblichen Suchens schwindet Schlossermeister Bernbachers Laune erheblich, und während er so vor sich hinzetert, fällt irgendwann folgender Satz :“Herrgottsakra, wo san jetzt meine Manschettenknöpf. Die hat bstimmt wieder mei Frau, die alte Schlampn, verlegt“.

Und während ich so dastehe und mich um Kopf und Kragen rechtfertige, habe ich das untrügliche Gefühl, dass wohl doch nicht alles, was unsere Kinder an 70er Jahre Familienunterhaltungskultur konsumieren, so gänzlich ohne Folgen bleibt….

17 Gedanken zu „Mama ist eine Schlampe

  1. Da gibt es ein (Erwachsenen)Lied von Gerhard Schöne über Vorurteile und Zuschreibungen, da heißt es „Alle Neger tanzen gut und rennen schnell, gehen nackig oder mit´nem Tigerfell…“. Auch lustig, wenn der 4-jährige das laut im Kindergarten trällert!

  2. Es sei dazu angemerkt, dass die sexuelle Konnotation bei „Schlampe“ ein recht neues Phänomen ist. Bis (wenn auch nicht mehr so gehäuft) weit in die 90er Jahre hinein war das Wort in seinem ursprünglichen Kontext noch sehr geläufig – vor allem im süddeutschen Raum, was ja auch zu Pumuckl passt

  3. Jahre später ist mir auch aufgefallen, wie unglaublich prollig und ausländerfeindlich TKKG ist. Der starke Tim, der die schwache – weil weibliche Gabi, natürlich wunderschön – beschützt. Die bösen Balkanbanden, die Bombenleger mit chinesischem Akzent und spanische Entführungsgangs. Und zu guter Schluss wird jeder Fall durch eine gehörige Tracht Prügel durch Tim beendet. Ausgewachsene, hochgefährliche Kriminelle aus allen Herrenländern: Obacht. Jungdetektive am Start.

    1. Oh ja TKKG, ganz schlimm. Muss dazu sagen, dass ich eher der ???-Fraktion angehöre. Die 5 Freunde sind übrigens auch so ne Nummer. Der permanent rumschreiende Onkel Quentin, die devote Tante Fanny, George die kein Mädchen sein will, die unerträglich ängstliche Anne, die sich beim Zelten immer um den Abwasch kümmert und das kinderraubende Zigeuner- und Zirkuspack…Da vergeht einem echt die Freude. Klar, waren das andere Zeiten, aber es ist schon erschreckend, dass es mich als Kind nie stutzig gemacht hat.

  4. Ich lach mich schlapp……hab mich hier nach und nach durch deine Beiträge gearbeitet und finde es sehr erfrischend wie du die Sachen auf den Punkt bringst. Meine Kids haben auch viele alte Kassetten und Kinderserien die ich auch früher immer gehört habe. Ich habe die Geschichten und Ausdrucksweisen jedoch nie so unter die Lupe genommen…..denke das ist aber auch ein Problem unserer heutigen Gesellschaft sich für Ausdrücke wie Negerkuss, Zigeunerschnitzel, oder auch halt der bayrischen Schlampl selbst zu geisel. Bei Biene Maja geht es ja auch darum den Kindern zu vermitteln das das Verhalten der Ameisen nicht rechtens ist….denke das Kinder auch nicht das da reininterpretieren was unser „gestörtes“ Erwachsenenhirn daraus macht. Ich denke da sollten wir cool bleiben…..wir sind ja auch nicht gestört aus unserer Kindheit raus gewachsen….denke das es heutzutage viel mehr Problemfälle an Kindern gibt als noch zu unserer Zeit, als sich die Mütter noch nicht so verrückt gemacht. Ich kann gut damit leben die Kleidung meiner Kinder, das Spielzeug oder sonstiges Equipment zu kaufen ohne mich an die „bestechliche“ Stiftung Wahrentest zu halten. Den Kindern morgens Nutella aufs Weizentoast zu schmieren und Abends Pommes in den Ofen zu schieben ohne Angst sie könnten an Verfettung sterben.Bei uns kommt auch Mittags mal ein Gericht aus der Maggi Tüte auf den Tisch und das ohne schlechtes Gewissen. Ich habe auch eine leidvolle Geburt und eine schöne ( mit meiner Haushebamme ) hinter mir. Sky ist auch in unserem Haus vertreten und auch unser Grosser ist schon seid geraumer Zeit mit Krombacher vertraut ( Lach). Es ist schon witzig wie alle Mütter das selbe Los teilen aber man selbst denkt man steht mit den Problemen alleine da.
    Also Muttis : KEEP COOL! ;-))

  5. Schönes Foto! Über den Beitrag haben wir gerade herzlich gelacht. Ein Gedanke: Kinder filtern, auch wenn sie Worte oder Phrasen aufnehmen und dann im Waschsalon zum Besten geben. Aber solange sie es testen und waschen lassen (im übertragenen Sinne), ist es auch nur eines der Lernprozesse. Einige Geschichten und Medieninhalte sind heute für uns bedenklich, aber der Trick, der sowohl für uns als auch für die nächste Generation wirken sollte, wäre Medienkompetenz. Nur wie? Ich denke die Situation im Waschsalon ist ein Moment in dem es möglich wird sich da was auszudenken. In der Theorie bemerkt das Kind, dass das neue Wort eine Reaktion bei der Mama hatte, und wird aufmerksam. Hier könnte man anknüpfen. Oder bin ich da etwas blauäugig?

  6. Naja. Ich finde, man sollte sich auf die (beschissene) Rollenverteilung in dem Zeug konzentrieren.
    Ich fand das als Kleinkind (bin 37) schon irgendwie komisch, dass die Männer SOOO darauf beharren, dass die Frauen in Flake bleiben MÜSSEN.
    Aber Kinder von allem was „Popel“ sagt, oder nicht keimfrei-korrekt-großbürgerlich ist, fern halten? Also ich weiß nicht… Wenn man nicht erklären kann warum, soll man’s nicht verbieten, oder?
    Dass sich Biene Maja der Ameisen-SS widersetzt finde ich pädagogisch eher wertvoll! Ich erinnere mich sogar an die Folge und fand die Ameisen total grausam und gräßlich. Dass sie später wieder positvere Rollen eingenommen haben, hat dieses Bild nur ein bisschen verrückt: Suspekt sind sie mir geblieben.

  7. … und ich war total enttäuscht, als ich entdeckte, dass Wickie ein Junge ist. War ich doch davon überzeugt, das sei ein total gerissenes Mädchen, das den Wikingern zeigte, dass mit Grips mehr als mit Kraft erreicht wird….

  8. Ich musste auch schlucken als bei Fury ein Hund erschossen werden sollte weil er angeblich Hühner gefressen hatte.

    Habe dann erklärt das früher die Leute verhungert sind wenn die Hühner gestorben sind und das tiere früher nicht viel wert waren. Noch ist er eh zu klein, aber bald werde ich auch solche Sachen erklären.

    Aber wie andere schon schreiben, deswegen darf er das dann irgendwann trotzdem gucken. Ein paar „alte“ moralvorstellungen sind doch manchmal gar nicht so schlecht. .. 😉

  9. Liebe Andrea (Hier nenne ich Sie mal ganz dreist bei Ihrem Vornamen. In der Öffentlichkeit werde ich mir das auch wieder verkneifen. Versprochen!),
    nach diesem Beitrag, wenn auch einige Zeit her, möchte ich Sie doch bitten mal mit den Kindern bei uns einkaufen zu kommen. Scheint dann sehr witzig zu werden! Sie wissen ja wo Sie mich finden!

    Liebe Grüße
    Ihre Kassiervorgangsentertainerin
    Nadine L.

      1. Ok….

        Hallo Andrea, ich bin die Nadine 😀

        Habe ich doch schon längst gelesen!!!! Ich war heute mal eine stille, faule, übermüdete Mama und habe mich auf meine Sofainsel zurückgezogen und habe noch so einige deiner Beiträge gelesen. Danke dafür das ich auch laut auflachen konnte und mich in einigen Situationen wiedererkennen konnte. Bei mir ist die „Kleinkindzeit“ ja leider vorbei und ich darf mich in das Abenteuer Pubertät stürzen, aber das Umkippen mit dem Einkaufswagen (bei mir der Aldi im Lohner E-Center) ist eine immernoch klare Erinnerung.

        Danke für den sehr unterhaltsamen Nachmittag mit deinem Blog. Auch wenn ich eine Leseblockade habe (ich habe mich damals wohl mit meinem Bücherblog satt gelesen), habe ich heute jedes Wort verschlungen. Besser als jedes Buch das ich momentan in der Hand hatte 😀

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